Ideo Heraclitus, cui cognomen fecit orationis obscuritas, "unus", inquit, "dies par omni est". Hoc alius aliter excepit. Daher sagt Heraklit, der Dunkle, wie er wegen der Dunkelheit seiner Sprache hieß, "Ein Tag gleicht allen". Das hat der eine so, der andere anders aufgefaßt. Dixit enim parem esse horis, nec mentitur; nam si dies est tempus viginti et quattuor horarum, necesse est omnes inter se dies pares esse, quia nox habet, quod dies perdidit. Der eine deutete es auf die gleiche Stundenzahl, und das ist nicht unrichtig, denn wenn der Tag ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden ist, dann müssen alle Tage einander gleich sein, weil, was der Tag verloren hat, durch die Nacht ersetzt wird. Alius ait parem esse unum diem omnibus similitudine; nihil enim habet longissimi temporis spatium, quod non in uno die invenias, lucem et noctem, et in alternas mundi vices plura facit ista, non alia: alias contractior, alias productior. Seneca epistulae morales übersetzung. Ein anderer sagt ein Tag gleicht allen Tagen in Hinsicht auf seine Beschaffenheit; Denn auch die längste Zeitspanne hat nichts an sich, was sich nicht auch an jedem einzelnen Tage fände, Licht und Dunkelheit, und auch die wechselnden Weltperioden zeigen in dieser Beziehung keinen Unterschied (vom Einzeltag), nur die Länge (bei vermehrter Zahl der Einzeltage) und Kürze (des Einzehages) macht den Unterschied.
Seneca Epistulae Morales 47 Übersetzung
(4) Irgendjemand wird sagen: "Was nützt mir die Philosophie, wenn es das Schicksal gibt? Was nützt sie, wenn es einen Gott als Lenker gibt? Was nützt sie, wenn der Zufall herrscht? Denn sowohl kann man das Sichere nicht ändern als auch nichts vorbereiten gegen das Unsichere, sondern entweder hat ein Gott mein Vorhaben besetzt und beschlossen, was ich tun soll, oder nichts überlässt das Schicksal meinem Vorhaben. (5) Was auch immer es von diesem gibt, Lucilius, oder wenn es all dieses gibt, man muss philosphieren; sei es, dass das Schicksal uns mit seinem unerbittlichen Gesetz zusammenschnürt, oder sei es, dass ein Gott als Richter des Weltalls alles geordnet hat, oder sei es, dass der Zufall die menschlichen Dinge ohne Ordnung antreibt und hin und her wirft, die Philosophie muss uns schützen. Seneca – Epistulae morales ad Lucilium 47: Übersetzung – Felix Rüll. Diese wird uns ermuntern, dem Gott gerne zu gehorchen, dem Schicksal trotzig; diese wird dich lehren, dem Gott zu folgen, den Zufall zu ertragen. Interpretation:
Die Philosophie ist nicht:
Kunstwerk für das Volk
zur Schaustellung geeignet
Unterhaltung, um Langeweile zu vertreiben
Theorie
Die Philosophie ist aber:
Anleitung fürs Leben
Praxis
Regeln zur Lebensführung
Bildung der Seele
Folgerung: Sicheres und Sorgloses Leben
Begründung: Ratschläge in jeder Situation
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Auch wenn es das Fatum, einen Gott oder den Zufall gibt/geben sollte, muss man philosophieren, da einen die Philosphie schützt, vor dem Zufall wappnet, hilft, dem Gott (deus = fatum) und damit Schicksal zu folgen.
Seneca Epistulae Morales Übersetzung
Ait vilicus mihi non esse neglegentiae suae vitium, omnia se facere, sed villam veterem esse. Der Verwalter erklärte mir, daran sei nicht etwa seine Nachlässigkeit schuld, er lasse es an nichts fehlen, aber das Landhaus sei alt. Haec villa inter manus meas crevit: Quid mihi futurum est, si tam putria sunt aetatis meae saxa? Dies Landhaus ist unter meinen Händen ausgebaut worden! Worauf muß ich mich gefaßt machen, wenn Steine, die nicht älter sind als ich, schon mürbe werden? Iratus illi proximam occasionem stomachandi arripio. In gereizter Stimmung ergreife ich den nächsten Anlass, meinen Ärger kundzugeben. "Apparet", inquam, "has platanos neglegi: Nullas habent frondes. "Es liegt am Tage", sage ich, "diese Platanen ermangeln der sorglichen Pflege: sie haben kein Laub. Quam nodosi sunt et retorridi rami, quam tristes et squalidi trunci! Wie knotig und dürr sind die Äste, wie verkümmert und ungepflegt die Stämme! Abiunity - Epistulae morales Übersetzung. Hoc non accideret, si quis has circumfoderet, si irrigaret. Dem wäre nicht so, wenn der Boden ringsum gehörig gelockert und wenn bewässert würde".
Epistulae Morales 1 Übersetzung
Quem mihi dabis, qui aliquod pretium tempori ponat, qui diem aestimet, qui intellegat se cottidie mori? Wen wirst du mir geben, der der Zeit irgendeinen Wert beimisst, der den Tag würdigt, der erkennt, dass er täglich stirbt? In hoc enim fallimur, quod mortem prospicimus: Magna pars eius iam praeterit. Denn darin täuschen wir uns, dass wir den Tod vor uns sehen, ihn erwarten. In Wahrheit liegt er zu einem großen Teil schon hinter uns. Quicquid aetatis retro est, mors tenet. Was auch immer in der Vergangenheit der Lebenszeit ist, hat der Tod. Fac ergo, mi Lucili, quod facere te scribis, omnes horas complectere. Also mache, mein Lucilius, was du zu tun schreibst, halte alle Stunden fest. Sic fiet, ut minus ex crastino pendeas, si hodierno manum inieceris. Seneca epistulae morales 47 übersetzung. So wird es passieren, dass du weniger am morgigen Tag hängst, wenn du deine Hand auf den heutigen Tag legtest. Dum differtur, vita transcurrit. Während das Leben aufgeschoben wird, eilt es vorbei. Omnia, Lucili, aliena sunt, tempus tantum nostrum est: In huius rei unius fugacis ac lubricae possessionem natura nos misit, ex qua expellit, quicumque vult.
(1)
Du tust eine sehr gute Sache und für dich heilsame, wenn du, wie du
schreibst, weitermachst der sittlich vollkommenen Gesinnung
näherzukomme, die sich von den Göttern zu wünschen töricht ist, weil du
sie aus dir selbst heraus erlangen kannst. Man braucht die Hände nicht
zum Himmel heben und den Tempelhüter nicht bitten, dass er uns zum Ohr
des Götterbildes zulässt, gleichsam dass wir mehr erhöht werden können:
Gott ist dir nahe, er ist mit dir, er ist in dir. (2) So sage ich Lucilius: In uns wohnt ein heiliger Geist der
Betrachter und Wächter unserer guten und schlechten Taten: Sowie dieser
von uns behandelt wurde, so behandelt er selbst uns. Aber niemand ist
ein guter Mann ohne Gott: Oder kann irgendjemand sich über das Schicksal
hinaus erheben, wenn nicht von jenem unterstützt? Epistulae morales 1 übersetzung. Jener gibt großartige
und herausragende Ratschläge. In jedem einzelnen guten Mann wohnt ein
Gott, welcher Gott ist ungewiss. (3) Wenn sich dir die Waldlichtung dicht bestanden mit Bäumen, die
alt sind und die gewöhnliche Höhe übersteigen, zeigt und der den Anblick
des Himmel durch die Menge der einen Äste, die die Menge der anderen
verdeckt, nimmt wird jener hohe Wuchs des Waldes und das Geheimnis des
Ortes und die Bewunderung des in einer offenen landschaft so dichten und
ununterbrochenen Schattens den Glauben eines beständigen göttlichen
Willens in dir wecken.