Die oberen Stufen
sind nicht sichtbar – als sei der Gottessohn aus dem Kosmos herabgestiegen. Blasse
Gelbgrün- und Grauockertöne bestimmen die Farbgebung. Lediglich einzelne
Gewandstücke setzen Farbakzente in Blau, Schwarz und Rot. Eine karmesinrot
verdunkelte Sonne erhellt den fahlen Hintergrund. Spiegeln
sich in der Kreuzabnahme die
bedrückenden Kriegserfahrungen Beckmanns? Der Glaube an den Erlösertod Jesu und
seine Auferstehung jedenfalls wird hier nicht mehr verkündet. An diesem
Christus weist nichts mehr auf den glorreich über die Macht des Todes
triumphierenden Sieger hin. Eine wie auch immer geartete Verheißung lässt sich
in der Kreuzabnahme nicht erkennen. Spürbar
wird vielmehr die Depression der Kriegsteilnehmer, das Erlebnis der
Gottverlassenheit in einer irdischen Hölle. 1919 erklärt Max Beckmann provozierend:
"Mit der Demut vor Gott ist es vorbei. Meine Religion ist Hochmut vor Gott,
Trotz gegen Gott. Trotz, daß er uns geschaffen hat, daß wir uns nicht lieben
können. Ich werfe in meinen Bildern Gott alles vor, was er falsch gemacht hat"
(Piper 1950, S. 33).
Hans Pleydenwurff: Kreuzabnahme (um 1465-1470); München, Alte Pinakothek
Rogier van der Weyden: Beweinung Christi (um 1440-1450); Brüssel, Musées Royaux des Beaux-Arts
Immer
wieder ist im Zusammenhang mit Beckmanns biblischen Bildern von 1917 auf den
Einfluss spätgotischer Kunst hingewiesen worden. So könnte bei der Kreuzabnahme z. B. die entsprechende
Darstellung aus dem Hofer Altar von Hans Pleydenwurff (1420 – 1472) als Vorbild
gedient haben. Der in der Bildfläche ausgebreitete Leichnam Jesu, umgeben von
teils stützenden, teils knienden, emotional reagierenden Figuren, geht
letztlich auf Rogier van der Weyden (1400–1464) zurück, dessen Beweinung Christi Beckmann 1915 in
Brüssel gesehen haben dürfte. Auch ein hölzernes Vesperbild aus dem Frankfurter
Liebieghaus (um 1390) hat Beckmann sehr beeindruckt (Piper 1950, S. 32) – dessen
Compassio -Appell übersetzt der Maler
jedoch in eine Körpersprache, die das Groteske streift. Pietà (um 1390); Frankfurt, Liebieghaus Matthias Grünewald: Isenheimer Altar, 1.
1925 schließlich tritt der
Künstler ein Lehramt an der Städtischen Kunstgewerbeschule an – das ihm die
Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung wieder entziehen. Im Herbst 1936
gehört die Kreuzabnahme zu den ersten
von landesweit fast 700 Werken des Künstlers, die die neuen Machthaber
konfiszieren. Ebenso wie Christus und die
Sünderin und weitere seiner Gemälde wird das Werk 1937 zunächst in München
als "entartete Kunst" zur Schau gestellt. Hals über Kopf nimmt Beckmann am Tag
der Ausstellungseröffnung mit seiner Frau von Berlin aus den Zug nach
Amsterdam. Erst 1947 kann das Ehepaar von den Niederlanden in die Vereinigten
Staaten ausreisen. Beckmann kehrt nach 1937 nicht mehr nach Deutschland zurück
– er stirbt am 27. Dezember 1950 in New York. In der Kreuzabnahme ist Golgatha als
lehmfarbener, kahler Hügel wiedergegeben, auf dem sich einige wenige Steine und
abgestorbenes Gehölz entdecken lassen. Im Mittelgrund ragt das T-förmige Kreuz
auf, an dem eine auffallend unproportionierte Leiter lehnt.
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