Veröffentlicht am 05. 03. 2016 | Lesedauer: 3 Minuten Quelle: dpa/dan sab H amburg (dpa/lno) - Nach einem imposanten Kraftakt als hin- und hergerissener Judas überwältigen Ben Becker die Gefühle. «Das ist eine so große Ehre, das hier im Hamburger Michel machen zu dürfen», sagt der Schauspielstar mit stockender Stimme und Tränen der Rührung in den Augen, während die 1300 Zuschauer in der ausverkauften Hauptkirche Sankt Michaelis seine beeindrucke Darstellung am Freitagabend mit stehenden Ovationen würdigen. Dass das Soloprojekt eine Herzensangelegenheit ist, merkt man dem Mimen an. Nach seinem neunzigminütigen Auftritt genießt Becker den Applaus, schmeißt immer wieder jubelnd die Hände in die Luft und winkt seinem «Gegen- und Mitspieler» - dem Jesubild über dem Alter - zu. All die Erleichterung, dass sein Soloprojekt nach der Premiere in Berlin im November auch in Hamburg funktioniert, bricht sich Bahn. Freimütig gibt Becker zu, dass er vor seinem Doppelauftritt im Michel (auch am Samstag stand «Judas» auf dem Programm) «wahnsinnig nervös» gewesen sei.
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Und ja, ich hoffe nächstes Jahr wiederkommen zu können, denn seit langem hat mich eine Darstellung des reinen Sprechtheaters nicht so in den Bann gezogen, aber auch auf wohltuende Art aus der Bahn geworfen, wie diese 70 Minuten voller Wut, Verzweiflung, (Selbst)Anklage, Tränen und Rechtfertigung sowie Ben Beckers fantastische Leistung. Von, an passenden Stellen auch schon einmal dissonant, Domorganist Andreas Sieling begleitet. Ganz in Weiß gekleidet mit wehenden Mantelschößen klagt er auch die Kläger an, wendet sich ans Publikum, sucht Unterstützung bei Altarbild und Altarkreuz. Seine markante Bassstimme bebt, schluchzt und brüllt, der Hall der Kirche tut das Seinige dazu um Gänsehaut und spannungsgeladenes Luftanhalten und nicht greifbare Gedanken und Emotionen auszulösen. Die überbordende Überzeugungskraft und Authentizität, die von diesem polarisierenden Künstler ausgeht, ist unbeschreiblich, ist einfach nur selbst erlebbar. Ja, Ben Becker bleibt dem Rollenbild, das durch zahlreiche Filme entstanden ist, treu: bleibt der wütende Außenseiter, Kämpfer, Bösewicht.
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In geistliche Nomenklatura des damaligen Israel hat ihn im Zusammenspiel mit den verhassten römischen Besatzern ihn dann an Kreuz geliefert. Hat Judas Gnade zu erwarten? Wer als Schauspieler die Rolle des Judas übernehmen will muss schon mehr als eine Schauspieler-Persönlichkeit sein. Denn ungenaue Halbheiten, Schwubbelei, Chargieren und Larmoyanz schließen sich aus. Gefragt neben dem perfekten Beherrschen des Handwerkes, ist eine künstlerische Persönlichkeit. In jeder Schauspielergeneration sind es nie mehr als eine Handvoll von Darstellern, die einen so starken Charakter wie Ben Becker haben. Ben Becker rollt den Fall Judas neu auf. Obwohl, wir alle kennen die Vorgänge, die Geschichte hat ihr vernichtendes Urteil gefällt. Judas ist der Verräter schlechthin, der ewige Sündenbock, der ausgestoßene und heute noch Verdammte. Doch halt! Stimmt die Geschichte wirklich? Ist das Urteil gerecht? Denn in seiner Verteidigungsrede fragt Judas:
Was war denn zu verraten? Etwas der Aufenthaltsort von Jesus.
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» Ganz am Ende überkommen ihn dann doch wieder die Zweifel. Was, so fragt sich Beckers Judas, wäre gewesen, wenn er anders gehandelt hätte. Hätte es ohne Jesu Tod am Kreuz «kein Pogrom, kein Lager, kein Gas» und keine Glaubenskriege gegeben? «Wenn mein Nein millionenfaches Ja bedeutet hätte: Zum Leben, zur Versöhnung, zum Frieden? » Das mag sich der mit sich selbst hadernde Jünger nicht vorstellen und schreit lauthals «Nein», ehe das abschließende Orgelstück ertönt - und Becker begeistert gefeiert wird. Informationen zu "Ich, Judas"
Dies ist dem 51-Jährigen während seiner Solo-Auftritts aber nicht anzumerken. Mal klagend, mal flehend, mal sich selbst bemitleidend, mal wütend, mal drohend, mal polternd, aber immer voller Inbrunst verkörpert Becker seinen Judas. In der «Verteidigungsrede des Judas Ischariot» - so der Titel der Vorlage von Walter Jens - rechtfertigt der später verhasste Jünger, warum er Jesus ans Kreuz lieferte. «Ich habe es getan, und darum seid ihr erlöst», sagt er. Denn es habe eines Menschen bedurft, um Jesus zu überliefern. Oder mit Judas' Worten kurz gesagt: «Ohne Judas gibt es kein Kreuz. Ohne Kreuz gibt es keine Kirche. » Ohnehin seien er und Gottes Sohn «Verbündete». Wie zum Beweis hält Beckers Judas - gekleidet in weiß, der Farbe der Unschuld - auch immer wieder Blickkontakt und Zwiesprache mit dem Jesus-Bild über dem Altar. Doch auch der Kontakt zum Publikum - Stellvertreter all derer, die Judas als Jesus-Verräter verdammen - ist eng. Becker geht durch den Mittelgang, fordert, dass das Bild von ihm revidiert wird: «Ich verlange, dass mein Schuldspruch endlich aufgehoben wird.