Wenn Klimaaktivisten an wissenschaftlich verkündete "Wahrheiten" glauben oder eine höhere Moral für sich in Anspruch nehmen, sollte die Politik skeptisch sein, findet Hans Jörg Hennecke – und plädiert für Vernunft. In der Corona-Krise trat ein britischer Virologe mit einem Selbstverständnis auf, wie ich es schon einmal aus dem Mund eines zahlenverliebten Demografen vernommen hatte: "Wir bringen die Wahrheit zur Macht. " Eine ähnliche Vorstellung haben wohl die Aktivisten von "Fridays for Future" im Kopf, wenn sie die Politiker anflehen: "Hört auf die Wissenschaft! " Es ist die alte platonische Sehnsucht nach der Verschmelzung von Wissen und Macht. Wahrheit, Moral und Ideologie in der Klimapolitik – oder lieber Vernunft? » Ludwig Erhard Stiftung - Ludwig Erhard Stiftung. Wenn Wissenschaft die "Wahrheit" beansprucht, dann erliegt sie dem szientistischen Aberglauben einer "verzählten" und im doppelten Sinn "vermessenen" Wissenschaft, wie es der Rechtsphilosoph Otto Depenheuer ausdrückt. Sie täuscht sich über die unvermeidliche Vorläufigkeit, Bedingtheit und Unschärfe der eigenen Erkenntnisse, Prognosen und Empfehlungen hinweg.
Wahrheit Statt Ideologie Woke
Sie löst auch Abwehrhaltungen aus, die auf eine Unterschätzung ökologischer Probleme hinauslaufen. Dass Umwelt- und Klimaschutz als "politisch korrekte" Ziele gelten, verleitet viele Konservative dazu, ihr Heil in der demonstrativen Abwendung von der Mainstream-Moral zu suchen. Sie finden ihre "Wahrheit" im Tabubruch, nehmen das Bekenntnis zur Atomenergie als Ersatzglauben an oder leugnen den menschengemachten Klimawandel. Wahrheit statt Ideologie | Lesejury. Nicht viel anders sieht es im liberalen Lager aus: Weil Liberale für die Marktskepsis der Umweltbewegung wenig Verständnis aufbringen, neigen sie dazu, ökologische Probleme zu ignorieren und zu unterschätzen. Umweltfragen genießen für die Identität liberaler Parteien keinen besonderen Stellenwert, und auch viele marktwirtschaftliche Ökonomen ließen die Umweltthemen lange Zeit links liegen, anstatt mit Walter Eucken konsequent danach zu fragen, wie man ökologische Kosten zu wahrhaftigen Preisen in die Wirtschaftsrechnung integrieren kann. So etablierte sich unnötigerweise ein Pseudo-Gegensatz zwischen ökologischem und ökonomischem Denken, zwischen "Moral" und "Markt", der den Blick auf das verstellt, was man als "nachhaltigen Kapitalismus" bezeichnen könnte.
Wahrheit Statt Ideologie Des
Er
spricht ber Probleme, die uns alle angehen, weil sie uns alle betreffen. Er legt den Finger in die Wunde, zeigt Beispiele auf und bietet Lsungen an.
Dessen Grundzüge müssten sein: die ökologischen Auswirkungen der menschlichen Zivilisation ernst nehmen; externe ökologische Kosten wirtschaftlichen Handelns vermeiden und das Haftungsprinzip konsequent durchsetzen; zur Vermeidung von Moral-Hazard-Problemen Preise statt Grenzwerte definieren; flexiblen, dezentralen Lösungen mit klarer Verantwortlichkeit und mit Sinn für das Dauerhafte den Vorzug vor Lösungen mit hohen Fehlerkosten geben; auf offene Innovationsprozesse setzen statt der Politik überlegenes Wissen über technologische Optionen zutrauen. Man müsste dazu dem naiven Glauben an wissenschaftliche Wahrheiten abschwören und dürfte sich nicht in das Fahrwasser ideologischer Instrumentalisierung begeben. Wahrheit statt ideologie woke. Geboten wäre eine verantwortungsbewusste, selbstkritische Vernunft, die mit wachem Gespür für komplexe Ordnungszusammenhänge ausgestattet ist und deshalb mehr auf die Etablierung von Regeln als auf die Herbeiführung konkreter Ergebnisse setzt. Daraus könnte neues Vertrauen in die politische Ordnung erwachsen, weil ökologische Herausforderungen nicht länger heruntergespielt werden und zugleich jenes Schwelgen in "Panik", "direkter Aktion" und "Zivilisationskrise" verleidet wird, aus dem – egal unter welchen Vorzeichen – schon immer Gefahren für freiheitliche, demokratische Ordnungen erwachsen sind.