Was bis dahin den Bildungsbürgern vorbehalten war, sollte auch anderen Zielgruppen zugänglich gemacht werden. Das erforderte vor allem intensive Textarbeit: "Wir haben mit den Texten der Klassiker gerungen, um sie in eine Sprache zu bringen, die nicht abgehoben war", berichtet Petri von äußerst arbeitsintensiven Treffen des Teams. Die Texte wurden sehr genau analysiert. Dabei ging es nicht nur um ihren historischen Bedeutungsgehalt, sondern auch ihren Bezug zur aktuellen Politik. Als beispielhaft dafür gilt Steins Inszenierung von Ibsens "Peer Gynt" 1972. "Mochten draußen die schnelle Klassikeraktualisierung und der freche Dilettantismus triumphieren: Hier wurde in die Tiefe gedacht, hier wurden auch Handwerkskünste wie das Sprechen gepflegt", schrieb der Feuilletonist Andres Müry 1995 begeistert im "Focus". "Unser Theater sollte vor allem ehrliches Handwerk sein", bestätigt Petri. Steins „Faust“ scheiterte an der | NOZ. "Wir haben gearbeitet wie die Blöden, um uns weiterzuentwickeln. " Sie räumt aber auch ein, dass das nicht immer gelungen sei.
Steins „Faust“ Scheiterte An Der | Noz
Aber auch die Rolle der Schauspieler sieht sie heute kritisch: "Wir waren damals einfach zu naiv. Ein leichtes Opfer für Andrea Breth. " 1997 war auch für Breth die Zeit an der Schaubühne vorbei. Seit 1999 ist sie Hausregisseurin am Burgtheater Wien. Wegen ihrer manischen Depression war sie mehrfach zur Absage von Inszenierungen gezwungen. Peter Stein erfüllte sich seinen Traum, den kompletten Faust zu inszenieren, einige Jahre später auf der Expo 2000 in Hannover: Das Ensemble bestand aus 35 Schauspielern, darunter waren auch Bruno Ganz als Faust und Elke Petri als Marthe Schwerdtlein. Petris Wunsch nach einem eigenen Theater in Südamerika ging zwar nicht in Erfüllung, doch führt sie seit 1995 auch Regie. Mit dem nach ihren Worten "genialen Theaterleiter Stein" ist die Schauspielerin noch heute befreundet. Und manchmal kommt er nach Bodrum an der türkischen Ägäisküste, das neben Berlin Petris zweite Heimat ist. Dann ist Stein ihr Sommergast.
In den 60er-Jahren marschierte Elke Petri bei den Demonstrationen der Friedensbewegung mit. Im Schwarzen Café, dem Berliner Treffpunkt der außerparlamentarischen Opposition, hörte sie begeistert den Reden des Studentenführers Rudi Dutschke zu. 1972 holte der Regisseur Peter Stein die junge Schauspielerin an die Schaubühne in Kreuzberg. Inspiriert von der Aufbruchstimmung der 68er, wollte er dort mit Stadttheaterhierarchie, Intendantenwillkür und Klassikerroutine gründlich aufräumen. Die Anfänge der Schaubühne gehen aber auf den 21. September 1962 zurück. Damals gründete der spätere Theaterleiter Jürgen Schitthelm gemeinsam mit anderen in einem Mehrzwecksaal der Arbeiterwohlfahrt in Kreuzberg eine freie Theatergruppe, die Schaubühne am Halleschen Ufer. Schon an der Ur-Schaubühne war ein politisch und sozial engagierter Spielplan Programm. 50 Jahre später haben die Friedensbewegten in aller Welt kapituliert. Im Schwarzen Café hängen heute die Enkel der ergrauten Revoluzzer ab. Und mit Jürgen Schitthelm wird sich im Herbst der Letzte aus der alten Mannschaft der Schaubühne aus der aktiven Theaterarbeit verabschieden.