Ich bin nicht sicher. Und seine Lyrik? Ich liebe nach wie vor viele Gedichte von Brecht, ich liebe sie ungleich mehr als jene von Trakl und Stefan George, ja sogar von Rilke – und ich kann mir ein Deutschland nicht vorstellen, dem seine Dichtung gleichgültig sein könnte. Dass zu ihren Höhepunkten erotische Verse gehören, ist allgemein bekannt. 'Als ich nachher von dir ging'. Doch was zeichnet sie vor allem aus? Vielleicht die ganz selbstverständliche und daher immer aufs Neue verblüffende Einheit von volksliedhafter Schlichtheit und raffinierter Artistik, von Alltagssprache und Poesie. Das Gedicht "Als ich nachher von dir ging" (Gedichttext im Kasten unten) stammt aus dem 1950 für den Komponisten Paul Dessau geschriebenen Zyklus "Vier Liebeslieder", bestimmt für eine Singstimme und Gitarre. Sie wurden 1953 uraufgeführt und zunächst im Programmheft zu diesem Konzert gedruckt. In Brechts ursprünglicher Niederschrift lautete der Titel dieses Gedichts: "Lied einer Liebenden". Doch von der Liebe spricht die Liebende nicht.
Als Ich Nachher Von Dir Ging Gedicht En
(Anmerkungen Reich-Ranickis, mit Text)
(In G. Härles Sammlung stehen ein paar Bemerkungen zum Gedicht auf S. 91 f. ; thematisch verwandte Gedichte findet man S. 86 ff. ) Lyrik – Liebe – Leidenschaft. Streifzug durch die Liebeslyrik von Sappho bis Sarah Kirsch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3525208502. P. S. Am 18. März 2015 wurde dieser Text 1315mal aufgerufen (am 19. März 255mal, am 20. »Als ich nachher von dir ging«. Buch von Bertolt Brecht (Insel Verlag). März noch über 100mal – offenbar stand Brechts Gedicht irgendwo in einer zentralen Klausur auf dem Programm – vermutlich ein Gedichtvergleich mit Mörike: Früh im Wagen, was auch relativ häufig angeklickt wurde); das hat mich veranlasst, ihn noch einmal zu überarbeiten. Vortrag
(Dorine Niezing, wunderbar gesungen)
(dito)
Seit diesem großen Ereignis ist die Welt für das lyrische Ich schöner geworden: lustiger die Leute (V. 4), schöner das Ich (schönerer Mund, V. 7 f. ), grüner die Natur (V. 9 f. ), frischer das Wasser (V. Interpretationshypothese - Bertolt Brecht Liebeslieder I (Schule, Deutsch, Gedicht). 11 f. ) – eine Aufzählung oder Reihung der positiven Veränderungen (Komparative). Das Ich ist nach meinem Empfinden die Frau, da sie ihren schöneren Mund bemerkt; auch spricht der dezent zurückhaltende Ton dafür, dass die Frau sich über die erste Liebesbegegnung äußert. Ein kleiner Scherz ist der Hinweis auf die geschickteren Beine (V. 8): Im Sinn der Sprecherin heißt das, dass sie sich jetzt leichtfüßiger bewegt, weil sie als Frau gelöst/erlöst ist. Für den Dichter und Mann Brecht ist dieser Hinweis eine Anspielung: Beim ersten Mal weiß man nicht so recht, wie man seine Beine bewegen soll – jetzt weiß sie es; dass der schönere Mund und die geschickteren Beine (zwei verschiedene Aspekte! ) zusammen genannt werden, ist eine kleine anzügliche Spitze des Dichters (nicht der Sprecherin – die würde bei ihrer Zurückhaltung in eroticis nicht über die frisch erlernte Beintechnik sprechen).